Coaching und New Work – Teil 1

In den 1980er Jahren begründete der Sozialphilosoph und Anthropologe Prof. Frithjof Bergmann den Begriff, der spätestens seit der durch die Corona-Pandemie erzeugten Veränderungen in der Arbeitswelt in aller Munde ist: New Work.

New Work scheint überall zu sein und zeigt sich auf sozialen Plattformen wie LinkedIn in glamourösem Gewand: Menschen, die von zuhause arbeiten oder unter Palmen, selbstbestimmt dem eigenen Biorhythmus entsprechend. Väter, die Zeit haben, vor dem ersten Meeting noch die Kinder in die Kita zu bringen und mit passenden Hashtags davon berichten. Gleichzeitig lesen wir von Familien, die durch Remote Work und Home Schooling größeren Belastungen ausgesetzt sind als noch vor ein paar Jahren, als man eine relativ planbare Zeit im Büro verbrachte.

Tatsächlich verbirgt sich hinter dem Begriff New Work, wie Bergmann ihn einst prägte, eine philosophische Idee, die weit über die Bereitstellung von Homeoffice-Möglichkeiten hinausgeht. In seinem Essay „Neue Arbeit. Das Konzept und seine Umsetzung in der Praxis.“ (1990) kritisiert Bergmann in einer ersten Annahme den amerikanischen Freiheitsbegriff und definiert Freiheit so, dass sie „den Menschen vielmehr erlauben [sollte], solche Tätigkeiten auszuführen, die für sie wesentlich und von Bedeutung sind, nicht alles Mögliche, das es auf der Welt gibt.“ Dies geht Hand in Hand mit seiner zweiten Annahme, dass das „Jobsystem“ ausgedient habe und den jungen Generationen die Fähigkeit zum Wollen bzw. zum Wünschen durch die zahlreichen Mängel des Beschäftigungssystems abhandengekommen sei. Bergmann kombiniert daher, dass Arbeit eine Berufung sein muss, die der Mensch aus freien Stücken gerne und innig ausführen möchte[1].

Heutzutage verstehen wir unter dem Begriff New Work vor allem eine moderne, flexible und häufig digitale Arbeitswelt, die den Menschen im Zentrum der Arbeitsorganisation sieht und die den Anforderungen des demographischen Wandels und globalen, digitalen Zeitalters gerecht werden soll. In einem Versuch, die Lücke einer einheitlichen Definition für die New-Work-Philosophie für die Wirtschaft zu schließen, wurde die New Work Charta mit fünf Prinzipien ausgearbeitet[2].

New Work wird dieser Zeit vielfältig eingesetzt und regelmäßig diskutiert. Dabei weisen New Work Prinzipien vielen Unternehmen den Weg bei der Ausgestaltung ihrer Organisations-, Kultur- oder Personalentwicklung. Eine hierbei unterstützende Disziplin kann (Business) Coaching darstellen. Im Folgenden soll daher veranschaulicht werden, wie die fünf Prinzipien der New Work Charta im Coaching erleb- und anwendbar sind:

Freiheit im Coaching

Der bereits von Prof. Bergmann benannte Begriff Freiheit wird in der New Work Charta neuinterpretiert und als wichtiger Baustein verstanden, sich mit neuen Ideen auseinanderzusetzen und so die Zukunft zu gestalten. Dies wird durch dafür geschaffene Experimentierräume realisiert und ein Umfeld der psychologischen Sicherheit, in dem Fehler erlaubt sind.

Ein vergleichbares Verständnis wird durch den International Coaching Federation (ICF) als Kernkompetenz eines jeden Coaches betrachtet. Die Kompetenz, ein „Coaching Mindset“ zu haben, beschreibt den Coach als offen, neugierig und flexibel[3]. Coaches bieten keine Standardlösungen an, sondern helfen Klienten, ihre eigenen Lösungen zu finden. Dabei schaffen sie im Coaching den Raum, sich mit ihren Werten und Ideen zur Lebensgestaltung frei und kreativ auseinanderzusetzen.

Auf diese Weise schafft Coaching mit wirkungsvollen Fragen und abwechslungsreichen, individuell passenden Methoden Experimentierräume, in denen Klienten Handlungsalternativen und Arbeitsweisen durchdenken und erleben können. Rational fokussierte Methoden wie z. B. „Die perfekte Woche“ oder „5 Bereiche des Lebens“, die bereits zu Beginn eines Coachingprozesses gut angewendet werden können, erlauben den Klienten ein freies Gestalten eines neuen Idealzustands und das Herausarbeiten von Schritten, um sich dem zu nähern. Dabei sind Fehler und Scheitern im Rahmen von Coaching in sicherer Umgebung möglich, um daraus zu lernen und nachhaltig an positiven Veränderungen zu arbeiten. Vor allem im Online-Coaching bzw. unter Einbeziehung von digitalen Medien und Kollaborationstools sind kreativen Herangehensweisen kaum noch Grenzen gesetzt. Tools wie beispielsweise Miro Boards zum Erarbeiten einer visuellen Darstellung oder Apps auf dem Smartphone, um Fortschritte im Alltag zu tracken, sind moderne und sinnvolle Ergänzungen von erprobten Coachingprozessen.

Selbstverantwortung im Coaching

Für New-Work-Organisationen ist Selbstverantwortung unerlässlich: Durch ein neues Verständnis von Hierarchie oder Verteilung von Budgetautorität wird eine stärkere Auseinandersetzung der Mitarbeitenden mit Arbeitsthemen und echte finanzielle Verantwortung für Entscheidungen übertragen.

Auch hierzu finden sich Parallelen in der ICF Kernkompetenz eines „Coaching Mindsets“. Neben der flexiblen und offenen Grundeinstellung des Coaches wird darunter auch verstanden, dass die Klienten für ihre eigenen Entscheidungen und die Zielerreichung selbst verantwortlich sind. Es ist eines der Grundprinzipien des systemischen Coachings, dass der Schwerpunkt des Prozesses klar auf der Eigeninitiative der Klienten liegt[4].

Man erlebt den Aspekt der Selbstverantwortung im Coaching auch sehr deutlich, wenn man die Rollen von Coach und Klient miteinander vergleicht:[5]

  • Coaches sprechen nicht von „wir“ und „uns“, wenn es um die Arbeit im Coaching Prozess geht. Der Klient ist dabei selbst aktiv, entwickelt eigenständig Ideen, setzt diese proaktiv im Alltag um und arbeitet aktiv auf die Zielerreichung hin. Als Coach ist man dabei lediglich moderierend bzw. prozesssteuernd aktiv.
  • Coaches zählen keine Lösungen auf oder geben gar vor, was das Beste für die Klienten ist, sondern geben lediglich Denkanstöße, z. B. durch Powerfragen, Provokationen oder geeigneten Methodeneinsatz. Manchmal ist es sinnvoll, wenn Coaches die Rollen wechseln und als Berater:in oder Trainer:in den Klienten Wissen vermitteln, um diese zu befähigen, eigene Entscheidungen zu treffen und basierend auf Wissen selbstständig Lösungen zu finden. In jedem Fall sind Coaches nur im Prozess leitend, aber niemals inhaltlich.

**weiter in Teil 2**


[1] Bergmann, Frithjof: Neue Arbeit (New Work). Das Konzept und seine Umsetzung in der Praxis. 1990. 1/10 (Bergmann_Neue-Arbeit_1990.pdf (ttfreiburg.de) Zuletzt aufgerufen am 08.08.2022.

[2] humanfy New Work Charta | humanfy GmbH Zuletzt aufgerufen am 08.08.2022

[3] ICF Kernkompetenzen: International Coaching Federation Germany (coachfederation.de) Zuletzt aufgerufen am 07.08.2022

[4] Albrecht, Evelyn: Business Coaching. Ein Praxis-Lehrbuch. 2018. S.40.

[5] Albrecht, Evelyn: Business Coaching. Ein Praxis-Lehrbuch. 2018. S.182.

Foto von EKATERINA BOLOVTSOVA

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